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Kinderzeit Bremen 03/04 2020

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Familienmagazin für die Region Bremen, Ausgabe März-April 2020

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gesund & fit © mulikov-123rf.com Impfen Ja, nein, vielleicht? Kurz nach der Geburt des ersten Kindes stehen Eltern vor einer grundlegenden Entscheidung: Zum Schutz vor Kinderkrankheiten empfiehlt die Ständige Impfkommission STIKO bestimmte Schutzimpfungen, um die Verbreitung von Krankheiten zu verhindern. Klar, das will doch jeder: Dass seine und alle anderen Kinder gesund aufwachsen und vor Krankheiten geschützt sind. Und doch hören und lesen wir vor allem in sozialen Medien immer öfter Gegenstimmen: Impf-Kritiker, -Gegner und -Verweigerer, wo man hinsieht? Laut einer aktuellen Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) befürworten in Wirklichkeit immer mehr Eltern, nämlich 77 Prozent, Impfungen (2012 waren es nur 61 Prozent). Aber auch 17 Prozent haben zumindest teilweise Vorbehalte oder Angst vor Nebenwirkungen, nur 5 Prozent lehnen den Schutz vor Infektionen ganz ab. Obwohl sich der Großteil aller Eltern also auf die Empfehlungen verlässt und sich sogar 91 Prozent gut bis sehr gut informiert fühlen, bleibt eine gewisse Unsicherheit: Sind Impfungen wirklich unbedenklich? Können sie vielleicht sogar krank machen? Muss ich mein Kind dem Risiko aussetzen? Für Virologen und andere Experten sind das gar keine Fragen. Zum einen sind die meist verheerenden Auswirkungen von Virenerkrankungen im Gegensatz zu den sehr seltenen Nebenwirkungen von Impfstoffen nicht kalkulierbar. Zum anderen lässt sich wissenschaftlich belegen, wie effektiv Impfungen gegen Krankheiten wirken und Epidemien verhindern, sofern hohe Impfquoten erreicht werden – zuerst regional, und dann welt- weit. In Europa wurde so Polio, auch bekannt als Kinderlähmung, bereits ausgerottet. Als nächstes Ziel sollen die Masern verschwinden, denn wie alle Viruserkrankungen sind sie hochansteckend und können nicht mit Antibiotika geheilt werden. Eltern soll die Entscheidung daher ab März abgenommen werden: Per Gesetz wird die Masern-Impfung verordnet. Und auch wenn das Ziel einleuchtet, die Einführung der Pflicht wird von Kritikern – darunter auch Impfbefürworter – als übergriffige Einmischung in elterliche Entscheidungen verurteilt. Welche Entscheidung man selbst für seine Kinder fällen möchte, können Mütter und Väter nur dann klar entscheiden, wenn sie sich informieren: In der Kinderarztpraxis, bei Impfsprechstunden und in wissenschaftlichen Veröffentlichungen oder Studien. 4 kinderzeit-bremen.de

Masern-Impfpflicht für Kinder in Kitas und Schulen Die Entscheidung fiel im November letzten Jahres: Ab 1. März 2020 gilt in Deutschland eine Masern-Impfpflicht. Vor der Aufnahme in Kitas oder Schulen müssen die Eltern von nun an nachweisen, dass ihre Kinder geimpft sind. Auch Beschäftigte von Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen und Kitas sind in der (Impf-)Pflicht. Was steckt hinter dem Gesetz, was soll es bewirken und wie sinnvoll ist es? Wir haben uns schlau gemacht. Wer an Kinderkrankheiten denkt, erinnert sich vermutlich an seine eigenen meist harmlosen Erfahrungen mit Mumps, Keuchhusten und Co.: Im Bett bleiben, auskurieren und zurück ins Leben. Allerdings verlaufen diese Krankheiten nicht immer glimpflich. Es handelt sich bei den meisten dieser Krankheiten um hoch ansteckende Virusinfektionen, die einen dramatischen Verlauf nehmen können. Masern sind genau so eine Krankheit: Sie gelten als extrem ansteckend – nahezu jeder Kontakt zu einer erkrankten Person führt zu einer Erkrankung. Die Erreger verbreiten sich durch Husten, Niesen oder Sprechen über die Luft. Besonders gefürchtet sind seltene Komplikationen und Folgeerkrankungen, zum Beispiel Lungen- oder Hirnhautentzündungen. Das Masernvirus gehört laut Robert Koch Institut (RKI) bereits zu den zehn häufigsten Infektionskrankheiten und der Anteil tödlicher Verläufe ist besonders hoch: Bei 1.000 bis 2.000 Erkrankungen gibt es einen Todesfall, weltweit sterben jährlich mehr als 100.000 Menschen an Masern. Es ist also extrem wichtig, dass jedes Kind früh geimpft wird, um die Krankheit vollständig auszurotten und weitere Todesfälle zu vermeiden. Masern dauerhaft verhindern Trotz ständig neuer Aufklärungskampagnen erkranken in Deutschland noch immer zu viele Menschen an Masern, allein im letzten Jahr wurden laut RKI bis Mitte Oktober 501 Masernfälle registriert. Mit der Impfpflicht sollen die Masern dauerhaft verhindert werden. Allerdings müssen 95% der Kinder beide Impfungen gegen Masern erhalten, erst dann wirkt die so genannte Herdenimmunität, das heißt, die Masernerreger können sich nicht mehr ausbreiten. Dieses Ziel hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits 2015 gesetzt. Zwar sind zurzeit 97% der Schulanfängerïnnen in Deutschland gegen Masern geimpft, aber nur knapp gut 93% haben auch die zweite Impfung bis zum zweiten Geburtstag erhalten wie von der Ständigen Impfkommission (Stiko) empfohlen. Was sind die Ursachen für die zu niedrigen Impfquoten? Die Gründe sind vielschichtig. Fest steht, dass nur ein kleiner Teil der Eltern sich bewusst gegen Impfungen entscheidet, zum Beispiel aus Angst vor Nebenwirkungen oder Impfschäden. Oft werden Kinder aus ganz praktischen Gründen nicht geimpft, zum Beispiel, weil sie zum Impfzeitpunkt einen Infekt hatten oder weil die Eltern den Impftermin vergessen haben. Manchmal fehlt den Eltern auch der Überblick über die anstehenden Impfungen bzw. der Impftermin wurde aus Zeitmangel oder Stress nicht wahrgenommen, das ergab eine Repräsentativbefragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Infos zur Impfpflicht: bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html Infos von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): impfen-info.de Wie wird das Gesetz umgesetzt? Ohne ausreichenden Impfschutz dürfen Kinder ab dem 1. März 2020 nicht in Kitas oder Schulen aufgenommen werden, so will es der Gesetzgeber. Auch für die Beschäftigten in Gemeinschafts- und Gesundheitseinrichtungen, für Tagesmütter sowie für Bewohnerïnnen und Mitarbeitende in Unterkünften für Geflüchtete gilt: Der Masernschutz muss nachgewiesen werden. Für Kinder, die bereits zur Kita oder in die Schule gehen, muss der Nachweis bis zum 31. Juli 2021 erfolgen. Von der Pflicht ausgenommen sind alle, die vor 1970 geboren sind und diejenigen, die aus medizinischen Gründen keine Impfung vertragen. Bei Verstoß gegen das Impfgesetz müssen Bußgelder bis zu 2.500 Euro bezahlt werden. Aufklärung statt Impfpflicht? Kritiker bemängeln, dass ein Gesetz nicht sinnvoll sei, um unsichere Menschen von Impfungen zu überzeugen, sie setzen auf Aufklärung statt auf Impfpflicht. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. berichtet, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger zwar Impfbefürworter seien, allerdings habe jeder vierte Erwachsene Wissensdefizite beim Thema Auffrisch- und Wiederholungsimpfungen. Erinnerungssysteme durch die Gesundheitsämter könnten zum Beispiel dazu beitragen, dass Eltern den Impfstatus der Kinder immer im Blick behalten und diejenigen erreicht werden, die nicht geimpft sind (zum Beispiel junge Erwachsene). Auch im Zusammenhang mit Vorsorgeuntersuchungen sollte der Impfstatus überprüft werden. Ob eine Impfpflicht tatsächlich die Impfquote erhöht, gilt nicht als erwiesen – in einigen europäischen Ländern, wie zum Beispiel Schweden oder Portugal liegt die Impfrate auch ohne Impfpflicht sehr hoch, Schweden gilt sogar als masernfrei. Kritik an der Umsetzung In vielen Kitas und Schulen herrscht Unklarheit, wie die Umsetzung konkret aussieht. Das Gesetz sieht vor, dass die Leiterïnnen von Kindergärten und Schulen die Impfpässe kontrollieren. Der Deutsche Kitaverband – die Interessensvertretung der freien Kitaträger Deutschlands – kritisiert, dass für jedes Kind sowie für alle Mitarbeiterïnnen in den Kitas nachträglich der Impfausweis kontrolliert werden müsse. Dadurch entstünde ein personeller und bürokratischer Verwaltungsaufwand für die Einrichtungen und der ginge wiederum zulasten der Kinderbetreuung. Suse Lübker 5

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