Alleinerziehend Jasmin und Pepe Kinderzeit Bremen wollte wissen, wie es einer alleinerzie henden Mutter in Zeiten der Kontaktsperre ergeht. Wir haben uns im Videocall mit ihr unterhalten. Jasmin mit Noa-Leonie Hadassa Matilda Pervin (Pepe), 8 Monate Das Interview führte Tanya Blümke Neue Kurse für Kinder und Jugendliche in der Bremer Überseestadt! Di. 15.00-16.00 Uhr Kindertanz 1-3 Jahre Di. 16.15-17.15 Uhr Kindertanz 3-6 Jahre www.tanzen-in-bremen.de Tel. 0172 4219073 E-Mail: inescorderolopez@yahoo.de Kinderzeit: Wie lebst du, was machst du beruflich und wie sah euer Tagesablauf vor Corona aus? Jasmin: Ich lebe 35 Kilometer von Bremen entfernt, kurz vor Worpswede, mit meiner 8 Monate alten Tochter in einem Haus zur Miete, zusammen mit einem Hund, einer zickigen Katze und drei verrückten Hühnern. Ich arbeite als Lehrerin in Vollzeit an einer Oberschule in Bremen, Deutsch und Darstellendes Spiel in der gymnasialen Oberstufe und in einer Sprachfördergruppe. Vor Corona sah mein Tag so aus, dass ich zwischen 4 und 4:30 Uhr aufgestanden bin, ich versorge die Tiere und bereite mein Frühstück für die Autofahrt vor. Nach einer eiligen Dusche wird Pepe versorgt und dann geht es los. Die Fahrt zur Tagesmutter startet gegen 7:30 Uhr und dauert rund 45 Minuten, währenddessen frühstücke ich im Auto. Nach dem Übergabegespräch mit der Tagesmutter über den Verlauf des gestrigen Nachmittags, die letzte Nacht und andere abenteuerliche Geschichten fahre ich zur Schule, wo um 8:45 mein Unterricht beginnt. Das ist noch die entspanntere Variante, die sich ändert, wenn im kommenden Schuljahr meine Fächer zur ersten Stunde starten. Ich habe ein System eingerichtet, in dem ich meinen Schülern einen Reader vorbereite, mit dem sie im Notfall auch allein weiterarbeiten können, falls die Kleine mal krank wird. Einen Tag in der Woche habe ich frei, dann gehe ich mit Pepe ins Elterncafé, wo ich mich mit anderen austauschen kann. Eine weitere Krabbelgruppe besuchen wir nachmittags in der Nähe meiner Schule. Bis vor kurzem waren wir zweimal die Woche beim Babyschwimmen. Sonntags habe ich mich immer um meine 95-jährige Tante gekümmert, sie mit Pepe im Auto abgeholt und wir sind mit ihr in die Kirche gegangen. Nach dem Mittagessen im Altenheim haben wir noch eine Runde zusammen Karten gespielt. Vor Corona ist mein Vater am Wochenende zu Besuch gekommen, um mit Pepe spazieren zu gehen, und damit ich mich ein paar Stunden um die Hausarbeit kümmern kann: Zwei Stunden Zeit, um aufzuräumen, zu putzen und staubzusaugen. Wie sieht euer Tag heute aus, zu Zeiten der Kontaktsperre? Wir haben heute etappenweise „Shaun das Schaf“ geguckt. Eine Folge dauert 10 Minuten. Die schaff ich, ohne einzuschlafen. Und dann haben wir – natürlich ausgestattet mit Mundschutz und Einweghandschuhen – unsere Einkäufe, anstatt mit dem Auto zu fahren, mit einem kilometerlangen Spaziergang ins Dorf verbunden. Das ist mit Kinderwagen schön praktisch, weil so viel reinpasst. Arbeitest du in der schulfreien Zeit weiter? Ja, ich bin weiter in Kontakt mit meinen Schülerinnen und Schülern. Vor und nach den Osterferien habe ich per WhatsApp und Itslearning konkrete Aufgaben wie das Verfassen von Buchrezensionen verteilt und stehe für Fragen zur Verfügung. Alle paar Tage gebe ich Rückmeldungen und neue Aufgaben. Aktuell korrigiere ich die eingereichten Buchrezensionen. Was hat sich jetzt, in der Kontaktsperre, für dich verändert? Ich habe jetzt keine Unterstützung mehr durch meinen Vater, was schwer ins Gewicht fällt, zumal Pepe gerade wieder Zähne bekommt, und das ist so ganz allein anstrengend, weil sie ziemlich maulig ist. Immerhin muss ich jetzt nicht mehr um 4 Uhr aufstehen, sondern zwischen 6 und 6:30 Uhr. Gerade ist mein Kühlschrank kaputt gegangen, und ich war froh, dass ich ausreichend Geld verdiene, um die Entsorgung und Ersatz bezahlen zu können. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich mehr Hilfe und Unterstützung von Freunden hatte, als ich noch nicht Mutter war, und seit ich Alleinerziehende bin, oft Leute dafür bezahlen muss, mir zu helfen. Dass ich relativ gut verdiene und in dieser Zeit Lohnfortzahlung bekomme, gibt mir Sicherheit. Ich habe hier auf dem Land aber auch leider kein echtes Netzwerk, weil ich noch nicht so lange hier lebe. Die Mütter, die ich über den Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskurs kennen gelernt habe, sind alle verheiratet oder in festen Partnerschaften, und haben jemanden, der ihnen hilft. Den habe ich leider nicht. Also hast du nur beim Einkaufen Kontakt zu anderen Menschen? 20 kinderzeit-bremen.de
Genau. Ich bringe zwar meinem Vater mal Sachen vorbei, aber mit Abstand. Ich sehe jetzt öfter Supermärkte und Baumärkte von innen und kann gut nachvollziehen, warum ältere Menschen so gerne einkaufen gehen. Nur so kann man mal Leuten begegnen, das unterschätzt man leicht. Ich komme aber sonst sehr gut zurecht mit dem Alleinsein. Und zum Glück gibt es das Internet. Ich tummle mich aktuell viel in sozialen Netzwerken, das ist meine Auszeit, die ich mir gönne, wenn Pepe schläft. Außerdem telefoniere ich täglich mit meinem Vater und mehrmals die Woche mit meiner Tante. Die hat es besonders schwer getroffen, weil sie ihr Appartement im Pflegeheim gar nicht mehr verlassen darf. Bei Unsicherheiten, wenn Pepe mal schreit oder Ungewohntes passiert, tausche ich mich in einer WhatsApp-Gruppe mit den anderen Müttern aus dem Geburtsvorbereitungskurs aus. Außerdem habe ich meine Hebamme, die ich immer noch kontaktieren kann. Aber es ist schon ein Unterschied, ob man eine Tagesmutter hat, die das Kind zeitweise betreut, und mit der man sich austauschen kann, oder ob man das rund um die Uhr allein macht. Das hat mich anfangs verunsichert, aber inzwischen bin ich da gut reingewachsen. Trotzdem spür ich manchmal eine gewisse Hilflosigkeit und denke, ich hab‘ jetzt keine Kraft mehr, ich will nicht mehr dies und das und jenes machen, aber ich muss es eben. Inzwischen bedeutet Hausarbeit echten Luxus für mich. Ich freue mich richtig, wenn ich endlich Zeit zum Putzen habe und erhole mich dabei, so dass ich mich hinterher besser fühle. Außerdem kann ich zu meinen persönlichen Heldentaten zählen, dass ich eine Monatsration Brei für Pepe selbst gekocht und in Tagesportionen eingefroren habe, wozu ich sonst nie die Zeit gehabt hätte. Und dass ich endlich meine Buchhaltung im Griff habe, macht mich auch ein wenig stolz. Das sind die kleinen Freuden des Alltags. Das, wovor ich etwas Schiss hatte, dass mir die Struktur entgleitet, wenn ich so allein mit Kind vor mich hindümpele, ist zum Glück nicht eingetreten, meine Tochter und meine Tiere sind jetzt das Netzwerk, das mich am Laufen hält. Routinierte Tagesabläufe, die einem sonst durch die Arbeit auferlegt werden, muss man sich jetzt eben selbst schaffen. Ich fühl mich eigentlich ganz wohl, aber oft auch erschöpft. Ich merke, dass es ein Unterschied ist, wenn einem jemand fehlt, mit dem man sich wenigstens ab und zu mal austauschen oder vor dem Fernseher kuscheln kann oder zu dem man einfach sagen kann: Nimm du mal das Kind, ich muss eine Runde laufen oder duschen. Jetzt muss die Kleine mit ins Bad und ich muss aufpassen, dass sie nicht am Klo nuckelt, wenn ich dusche. Was würdest du dir (von der Politik) wünschen, um die Situation von Alleinerziehenden zu verbessern? Ein unbürokratisches, institutionalisiertes Unterstützungssystem, welches keine kontrollierende Funktion hat. Es kursieren Berichte über Inobhutnahmen, die wie behördliche Übergriffigkeiten anmuten, die fast alle nachträglich wieder rückgängig gemacht worden sein sollen – nicht ohne Schaden angerichtet zu haben. Außerdem wünsche ich mir, dass auch freiwillig bei der gesetzlichen Krankenkasse versicherte Beamte einen Anspruch auf Kinderkrankengeld haben: Ich darf lediglich 4 Tage im Kalenderjahr mein Kind bezahlt betreuen, wenn es krank ist oder die Tagesmutter ausfällt. Das geht gar nicht! Ich habe momentan nur die Wahl, empfindliche Lohneinbußen hinzunehmen (als Alleinerziehende ist das schwierig) oder mich krankschreiben zu lassen (wenn es denn ein Arzt macht) oder mein krankes Kind zur Tagesmutter zu bringen... Da ich mich in einer privilegierten Situation befinde, kann ich selbstbestimmtes Leben und Mutterschaft weitestgehend miteinander vereinbaren. Ich muss nicht aus pragmatischen Gründen eine ungewollte Versorgungspartnerschaft eingehen, ich habe Entscheidungsspielraum in Fragen der Lebensgestaltung für meine Tochter und mich und mich plagen keine existentiellen Sorgen. Das ist, insbesondere in dieser Ausnahmesituation, keine Selbstverständlichkeit und ich bin dankbar und gleichzeitig traurig angesichts der prekären Lage der meisten anderen Alleinerziehenden. 21
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