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Kinderzeit Bremen 05/06 2021

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Familienmagazin für die Region Bremen, Ausgabe Mai-Juni 2021

gesund & fit INTERVIEW

gesund & fit INTERVIEW „Eltern kennen ihre Kinder am besten“ Lange galten Kinder als „kaum betroffen“ von Covid-Infektionen. Eine der wenigen Studien zur gesundheitlichen Beeinträchtigung von Kindern durch das Corona-Virus wird aktuell an der Uniklinik Augsburg durchgeführt. Prof. Dr. Dr. Michael Frühwald, Leiter der Klinik, berichtet im Interview über die gesundheitlichen Folgen für Kinder. Kinderzeit Bremen: Für Kinder wurde in Sachen Covid-19 lange kaum ein Risiko gesehen, nun mehren sich Berichte zu möglichen Spätfolgen – was hat es mit PIMS und MIS-C auf sich? Professor Michael Frühwald: Das sind Folgen der Covid-19-Erkrankung. Kinder haben in der Regel während der akuten Erkrankungsphase nur milde Symptome, schwere Krankheitsverläufe sind sehr selten. Im Frühjahr und Herbst 2020 haben wir bei uns in der Klinik meist Kinder mit Husten und anderen Erkältungssymptomen erlebt, die schnell wieder nach Hause entlassen wurden. In diesem Winter kamen dann erstmals Kinder und Jugendliche mit einer bereits durchgemachten Covid-Infektion, die sechs bis acht Wochen später plötzlich an einer schweren Erkrankung mit Fieber, Bauchschmerzen, Durchfall und in einem gewissen Prozentsatz auch mit Herzproblemen und Schockzuständen litten. Immerhin mussten fast 50 % dieser Kinder auf der Intensivstation behandelt werden. Bei Untersuchungen fanden wir eine Erweiterung der Herzkranzgefäße und ein Risiko für Herzversagen. Das sind die Symptome des PIMS – das steht für Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrom und bedeutet so viel wie kindliches, entzündliches Multisystem-Syndrom, weil es vier und mehr verschiedene Körpersysteme betrifft. MIS-C beschreibt das gleiche Krankheitsbild bei Erwachsenen, hier sind allerdings meist die Lungen stärker beeinträchtigt. Es gibt zum PIMS eine sehr große Studie aus den USA, mit rund 1.730 Patienten in der Untersuchung, über 60 % der Kinder hatten Magen-Darm-Symptome, 30 % bekamen Probleme mit dem Herzen, 40 % kamen in einen Schock, 45 % mussten auf die Intensivstation und 1,4 % dieser Kinder sind an „Alarmismus ist grundsätzlich unangebracht, denn Covid-Infektionen laufen bei Kindern und Jugendlichen in aller Regel sehr harmlos ab“ den Folgen der Erkrankung gestorben. Das sind immerhin 24 der untersuchten Kinder und Jugendlichen. Insgesamt machen die Zahlen deutlich, dass es trotz der Seltenheit der Erkrankung keine Ausnahmefälle sind. Wie können Eltern schwere Verläufe bei ihren Kindern vermeiden helfen? Was sollten sie beachten? Eltern können therapeutisch nicht vorbeugen, sie können aber auf die Symptome achten und diese ernst nehmen. Alarmismus ist dabei grundsätzlich unangebracht, denn Covid-Infektionen laufen bei Kindern und Jugendlichen in aller Regel sehr harmlos ab. Wenn aber Kinder bzw. Jugendliche eine nachgewiesene Covid-Infektion hatten und sechs bis acht Wochen später hohes Fieber bekommen, das trotz Antibiotika auch am zweiten und dritten Tag nicht sinkt, dann sollten sie ins Krankenhaus fahren und Herz und Lunge ihres Kindes checken lassen. In diesem Stadium kann man die Patienten in der Regel noch rasch und gut behandeln. In etwa 65 % der Fälle gibt es Symptome im Verdauungsapparat wie Durchfall, Bauchschmerzen und Erbrechen. Beobachten Sie in Ihrer Klink auch andere Folgen der Covid-Infektion bei Kindern? Nach einer Veröffentlichung zu diesem Thema haben wir immer wieder Anrufe von Eltern erhalten, die in der Familie eine Covid- Infektion hatten und danach feststellen mussten, dass die Kinder nicht mehr richtig in Schwung kamen. Da ist ein Mädchen mit elf Jahren zuvor eine Supersportlerin gewesen und kommt nun nicht mehr „in die Puschen“. Wir empfehlen inzwischen, die Kinder dann einmal auf Herz und Nieren prüfen zu lassen, um Spätfolgen auszuschließen. Bei manchen Kindern sieht man z.B. eine Vernarbung in der Lunge oder ähnliche Folgen. Die scheinbar häufiger auftretende Adynamie und Müdigkeit samt mangelndem Antrieb können wir noch schlecht einstufen. Ich glaube, wir wissen noch viel zu wenig 24 kinderzeit-bremen.de

über das, was in der Folge einer Covid-Infektion im Körper wirklich passieren kann, wo und wie sich Entzündungen ereignen können und wann das mit Spätfolgen oder einer langen Genesungsphase verbunden sein kann. Wir müssen PIMS und andere sichtbare Folgen von Covid 19 ernst nehmen. Hoffentlich wissen wir in einem Jahr mehr darüber und dann auch genau, wie wir damit umgehen können. Bis dahin sollten wir Ärzte auch auf die Sorgen der Eltern hören und solche Symptome nicht mit Verweis auf psychischen Faktoren abtun. Eltern kennen ihre Kinder am besten. Mein allererster klinischer Lehrer hatte die Maxime „die Eltern haben immer recht“ – und das versuche auch ich zu befolgen. Wenn Eltern mir etwas schildern und wir finden trotz gründlicher Suche nichts, dann müssen wir den Eltern trotzdem Hilfestellung bieten. Was halten Sie von der Priorisierung von Kitas und Grundschulen bei aktuellen Öffnungsstrategien? Die Situation kann sich je nach Infektionslage ändern und wir müssen lokal darauf reagieren können. Wir haben bei uns derzeit einen Ausbruch an einer Schule und da muss natürlich schnell isoliert werden. Ich finde die Politik, wie sie im Moment läuft, gar nicht so verkehrt. Natürlich ist es für die Schüler schwer, die aktuell nicht in die Schule gehen können. Die Situation für die Kitas ist ebenso herausfordernd, aber hier hilft nur Testen. Die Tests werden auch immer sicherer und besser verfügbar. Wenn wir breiter testen können, dann ist es sicher auch wieder einfacher, Kinder regelmäßig in Kitas und Schulen zu schicken. Sehr wichtig ist mir dabei, dass vor allem die Erwachsenen geimpft sind – vielleicht können wir dann sogar vorerst darauf verzichten, die Kinder zu impfen. Erste Impfstoffe für Kinder befinden sich bereits in Studien für die schlussendliche Zulassung, bei Biontech bereits ab dem 6. Lebensmonat – halten Sie es nicht für wichtig, dass auch Kinder vollständig und zeitnah eine Impfung erhalten? „Ich finde die Politik, wie sie im Moment läuft, gar nicht so verkehrt. Natürlich ist es für die Schüler schwer, die aktuell nicht in die Schule gehen können.“ Wenn die Impfungen für sie sicher sind, dann sollte man auch Kinder und Jugendliche gegen SARS- CoV-2 impfen. Bei impfpräventablen Erkrankungen sollte man meines Erachtens immer impfen. Natürlich verunsichern die thromboembolischen Ereignisse (Blutgerinnungsstörungen, Anm. d. Red.), die wir derzeit bei Vektorimpfstoffen gegen das Coronavirus sehen. Ich muss mit Blick auf bereits bekannte Daten aber auch feststellen, dass die Erkrankung selbst zu diesen Ereignissen führen kann. Bei vielen Patienten, die in diesem Zusammenhang schwere Verläufe erleiden, wissen wir ja gar nicht, ob sie bereits die Infektion in sich getragen haben und erst dann geimpft worden sind. Ein Freund meiner Familie ist zwei Tage nach der Impfung mit Astrazeneca schwer erkrankt und vor Kurzem an der Covid-Infektion verstorben. Bei ihm kam die Impfung einfach zu spät. Wenn wir sichere Daten haben, sollten wir auch Kinder mit einer Impfung vor schweren Verläufen und eventuellen Folgen schützen. Gibt es auch aktuelle Erkenntnisse aus dem Klinikalltag, die Eltern und Kinder zuversichtlich stimmen können? Wenn wir beim Impfen jetzt den Turbo einschalten, dann können wir die vierte Welle verhindern. Wir stecken jetzt mitten in der dritten Welle, und wenn wir beim Tempo besser werden, dann bin ich auch zuversichtlich, dass Kinder und Jugendliche ab dem Herbst wieder problemlos in Kita und Schule sein können. Sicher sollten sie weiterhin regelmäßig getestet werden, lernen, sich die Hände regelmäßig zu desinfizieren und dann auch einzucremen. Ich denke aber, dass wir im Sommer lockern können und später eine abgemilderte Welle erleben. Weniger Perfektion und Pragmatismus beim Impfen und zwei Wochen harter Lockdown wären zur Bremsung der dritten Welle der richtige Weg gewesen. Hier konnte sich unsere Bundeskanzlerin leider nicht durchsetzen. Fels in der Brandung gesucht! pib-bremen.de Tel. 0421 95 88 200 Wir von PiB beraten, qualifizieren und begleiten Sie dabei, Kinder und Jugendliche für kurze oder lange Zeit zu unterstützen. 25

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